Sonntag, 27. Oktober 2013

Kulturelle Unterschiede: Privatsphäre & Datenschutz / Różnice kulturowe: stosunek do prywatności i ochrony danych osobowych



Ein weiterer wichtiger Punkt, der für die deutsch-polnischen kulturellen Unterschiede markant ist, ist das Verhältnis der Menschen zu deren Privatsphäre und zum Datenschutz.

Ein Beispiel dafür. Vor ein paar Jahren boomte in Polen ein Internetportal Nasza Klasa (Unsere Klasse) - ein polnisches Pendant zu den späteren meinVZ oder Facebook. Fast jeder Pole war dabei. Das Netzwerk bot die Möglichkeit, über die ganze Welt verstreute Klassenkameraden zu finden, alte Bekanntschaften aufzufrischen oder mit fast vergessenen Cousinen vierten Grades in Kontakt zu kommen. Das Übliche, was man eben von Online-Communities kennt.

Da in Polen Bescheidenheit in persönlichen Gesprächen ganz groß geschrieben wird, erwies sich die Internetplattform zusätzlich als eine gute Gelegenheit, aller Welt zu zeigen, dass man einen neuen Fernseher hat, die diesjährigen Ferien in Ägypten verbracht oder sich eine imposante Hollywoodschaukel zugelegt hat.

 Das beliebteste Motiv:

Quelle: wiocha.pl

Quelle: wiocha.pl

Selbstverständlich tat man dies nur indirekt - so trugen die meisten Fotos ganz harmlose und allgemeine Überschriften, wie etwa „Ein Hauch von Frühling“ oder „Sommer, Sommer überall“ - dabei wäre doch der Titel „Ich und meine nagelneue Gartenlaube“ viel besser gewesen.

 „Sommer, Sommer überall“
 Quelle: wiocha.pl

Mittlerweile glaube ich, dass es für viele Personen keine Tabus mehr gibt. Alles toppen jedoch die zahlreichen Bilder von Babys, die die stolzen Eltern/Großeltern oder Paten posten. Mir blieb die Spucke weg, als ich z. B. eine Reihe von Fotos vom abendlichen Baden sah, auf denen das Kind splitterfasernackt zu sehen war. Die Bildergalerie war für jeden zugänglich, auch für diejenigen, die mit der Mutter des Mädchens nicht befreundet waren. Sie verfügte anscheinend nicht über die leiseste Ahnung, dass solche Fotos als Magnet für Menschen mit bösen Absichten fungieren könnten. Man fragt sich bei der Gelegenheit, was die Netzwerkadministratoren tun. Offensichtlich nichts, wenn man so etwas uneingeschränkt veröffentlichen darf.

„So schön schläft sie, meine geliebte, verehrte Mutti“
Quelle: funny.pinger.pl


"Mit meiner Familie nach der Feuerbestattung der Mutter"
 Quelle: funny.pinger.pl

Eine Situation, die mir sehr anschaulich machte, wie man in Deutschland die Privatsphäre der Kinder schützt, habe ich schon sehr früh erlebt. Mit einem Team habe ich damals einen Malwettbewerb organisiert, der für die Grundschulkinder einer Waldorf- und Montessorischule bestimmt war.

Schon die Anmeldeformulare waren eine Kunst für sich und glichen einem Ehevertrag. Die Eltern wurden gefragt, ob ihr Kind an dem Malwettbewerb teilnehmen darf, ob ihm ein Foto während der Abschlussveranstaltung gemacht werden darf, ob man das Bild in der Ausstellung aufhängen darf, ob man die persönlichen Angaben (Name, Klasse, Schule) unter das Bild schreiben darf, ob man diese auf der Webseite des Organisators nennen darf, ob das Werk abgebildet werden darf, ob man es in einer Druckversion in einem Flyer benutzen darf…

Die Litanei von „darf“ Fragen, die man mit „Ja/Nein“ beantworten konnte, nahm fast kein Ende und bildete zahlreiche Konstellationen. Dies erwies sich als ein Problem, als es später zur Sortierung der Werke kam.

Tatsächlich fanden sich Eltern, die nicht wünschten, den Namen, die Fotos bzw. Malbilder ihrer Sprösslinge zu veröffentlichen. Schade eigentlich, dachte ich mir. Was nutzt der erste Platz, wenn man als Sieger völlig anonym bleibt?

Wenn ich an in Polen organisierte Wettbewerbe jeglicher Art denke, kann ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass man daraus eine so große Sache gemacht hatte. Die Eltern gaben die Informationen über die Kinder sogar gerne preis, denn schon ein kleiner Artikel in der lokalen Presse war ein Grund, stolz zu sein. Wenn noch ein Foto dazu gemacht wurde, war die Freude umso größer. Die Zeitung wurde dann gleich in mehreren Exemplaren gekauft, an die Familie verteilt und allen Bekannten präsentiert. Um die Rechte des Kindes über sein Malbild kümmerte sich ebenfalls niemand.

Man kann bildlich sagen, dass die Aufklärung, wenn es um den Datenschutz in Polen geht, noch in den Kinderschuhen steckt.

Aber dies ist noch nicht die ganze Wahrheit, denke ich. Ein weiteres Beispiel. Während in Deutschland viele Menschen fast auf die Barrikaden gingen, weil sie nicht wollten, dass ihr Haus je bei Google Street View gezeigt wird (darunter auch meine Nachbarschaft), traf ich in meiner polnischen Heimatstadt auf eine ganz andere Einstellung. Mein Cousin informierte mich voller Stolz und Freude, dass das Google-Auto seine Straße schon fleißig abfotografiert hatte. Und das Beste kam noch: er sei mit seinem kleinen Sohn im Arm auf die Straße gerannt, weil er wollte, dass man den Kleinen im Internet sieht! Samt Haus, Garten, Autos vor der Garage und dem Rest der Familie natürlich. Proteste? Empörung der Massen? Fehlanzeige! Ein Vergleich der Landkarten von Deutschland und Polen zeigt deutlich, wovon ich rede

„Die Menschen protestieren gegen Google Street View aus Angst, weil sie alles fürchten, was neu ist“, so Artur Waliszewski, der 2010 über die Pläne von Google, in Polen zu fotografieren, sprach. „Noch einige Zeit nach der Erfindung des Autos musste ein Mensch mit einem grünen Zweig vor dem Fahrzeug laufen, um die Passanten zu warnen. Heutzutage finden wir das lustig“, fügte er noch hinzu. Nun ja, wer möchte denn später als Witzfigur dastehen? Niemand traut sich, die Rolle des Warnenden zu übernehmen.

Google Street View bedeutete für die überwiegende Mehrheit der Polen nichts anderes als Fortschritt - und wer bitte schön möchte als Fortschrittsbremse gesehen werden? „Es gibt schon Städtchen, Dörfer, Denkmäler - bald das ganze Land. Die große Aktualisierung Google Street View ist zugleich eine große Lust und natürlich eine Chance, um das alltägliche Polen der ganzen Welt zu zeigen“, schrieb man damals. Google Street View wurde den Polen noch schmackhafter gemacht und als unentbehrlich präsentiert: man bereitete sich damals auf die Euro 2012 vor und den kommenden Touristen sollte man doch die Orientierung in Polen erleichtern.

„Wer hat sich in einem weißen Fleck platziert?“
Diejenigen Ortschaften, die nicht abfotografiert wurden, gelten als hoffnungslose Kaffs.

Quelle:  http://pclab.pl


„Ich habe mein Haus gesehen. Und bekennte Penner auf der Straße. Sie sind überall!“, so eine Bekannte einer Journalistin, die einen Artikel über Google Street View in Polen verfasste. „Ich habe sofort mein Haus gegoogelt; seitdem bei Google Maps tausende neue Panoramabilder aus Polen veröffentlicht wurden, darf jeder sich sein Anwesen aus der Nähe anschauen. Man muss lediglich auf Google Maps einen für uns interessanten Punkt finden und ihn maximal vergrößern“, schwärmt sie.

Unter dem Text eine Umfrage: „Hast du schon dein Haus auf Google Street View gesehen?“. 65% der Teilnehmer (2266 Personen) meinten „Ja, das ist fantastisch!“, 20% (716) „Nein, weil es noch nicht da ist“, 11% (381) haben es ebenfalls gemacht und ist unzufrieden, dass man ihr Domizil  sehen kann.

Ich frage mich immer, ob die Gefahr der Datennutzung so groß ist, dass man in Deutschland jede Kleinigkeit wie einen Schatz hütet, oder wurde die Sache doch aufgebauscht. Die Antwort, als in Deutschland lebende Polin, fällt mir nicht leicht. Wäre die goldene Mitte vielleicht eine?


Zum Weiterlesen:

PL


http://pclab.pl/news53072.html


http://biznes.gazetaprawna.pl/wywiady/446566,ludzie_protestuja_przeciw_google_street_view_bo_to_co_nowe_zawsze_budzi_obawy.html

http://podroze.gazeta.pl/podroze/1,114158,13799571,Znajdz_swoj_dom_na_Google_Maps__Juz_prawie_cala_Polska.html

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